72 – Vorratsdatenspeicherung oder Anlassbezogene Datenspeicherung
Vorratsdatenspeicherung
Unter Vorratsdatenspeicherung (kurz VDS) versteht man die Speicherung von personenbezogenen Daten, die bei der Telekommunikation anfallen, zur späteren Verwendung durch die Strafverfolgungs- und allenfalls durch die Sicherheitsbehörden. Die Vorratsdatenspeicherung soll grundsätzlich zur Aufklärung von schweren Straftaten dienen. Im Gegensatz zu anderen Formen der Datenbeschaffung zur Aufklärung von Straftaten wie Rufnummernrückerfassung, Abhören von Telefonen oder Lauschangriffen werden bei der Vorratsdatenspeicherung die Daten aller Kommunikationsvorgänge ohne konkreten Verdacht “auf Vorrat” gespeichert, damit sie später für Ermittlungen zur Verfügung stehen. Die Vorratsdatenspeicherung zielt nicht auf die Speicherung von Gesprächsinhalten ab, sondern auf die Speicherung von Verbindungs- und Ortungsdaten. (http://www.dsb.gv.at/site/7713/default.aspx)
Österreich kam der Verpflichtung durch die EU, ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz zu erlassen, im April 2012 nach und das österreichische Vorratsdatenspeicherungs-Gesetz trat in Kraft. Seitdem mussten Anbieter von Telekomdiensten die Kommunikationsdaten (nicht Inhalte!) ihrer Kund:innen für mindestens ein halbes Jahr speichern – ob diese nun per Festnetz und Handy telefonieren, E-Mails und SMS verschicken oder im Internet surfen.
Justiz und Polizei wollten auf diese Daten zwecks Verbrechensbekämpfung zugreifen. Die Staatsanwaltschaft brauchte dafür eine richterliche Genehmigung, überdies musste die verdächtigte Tat mit mehr als einem Jahr Gefängnis bedroht sein. Die Polizei konnte in akuten Situationen – etwa Gefahr für Leib und Leben – aber auch ohne Zustimmung eines Richters Auskünfte von den Telekomfirmen verlangen. Jede Abfrage musste einem Rechtsschutzbeauftragten gemeldet werden.
Aus den gesammelten Daten ließ sich herauslesen, wer mit wem wann wie lange telefoniert hat – und auch wo, da sich Handys ja immer in eine lokale Funkzelle einwählen. Das Gleiche galt für verschickte SMS, MMS und E-Mails. Ebenso ließ sich eruieren, wann und wie lange sich ein bestimmter User ins Internet eingewählt hat. Inhalte wurden laut Gesetz nicht gespeichert.
Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat die Bestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung mit der Entscheidung G 47/2012-49, G 59/2012-38, G 62/2012-46, G 70/2012-40, G 71/2012-36 vom 27. Juni 2014 für verfassungswidrig erklärt.
Der Grund war, dass dieses Gesetz ein Verstoß gegen das in der Verfassung festgeschriebene Recht auf Privatsphäre sei. Unbescholtene Bürger:innen würden zudem unter Generalverdacht gestellt.
Die Befürworter des Gesetztes hatten sich die Verhinderung von schweren Verbrechen bzw. die Aufklärung von schweren Verbrechen erhofft.
Die Gegner wiesen z. B. auf die Wirklosigkeit des Gesetztes hin, weil es leicht umgangen werden könne (z. B. mit anonymen SIM-Karten, die damals noch erlaubt waren, häufigen Wechsel des Smartphones).
Anlassbezogene Datenspeicherung
Das Überwachungspaket der österreichischen Regierung von 2018 sieht als Alternative zur aufgehobenen Vorratsdatenspeicherung eine anlassbezogene Datenspeicherung in Verdachtsfällen vor. Telekommunikationsfirmen können beim Verdacht einer Straftat angewiesen werden, Daten bis zu zwölf Monate zu speichern (Quick-freeze). Sollte sich ein Anfangsverdacht nicht bewahrheiten, wird die Telekommunikationsfirma angewiesen, die Datenspeicherung zu beenden. Verdächtige müssen über diesen Vorgang informiert werden.
Weitere Überwachungsmöglichkeiten
Weitere Überwachungsmöglichkeiten werden immer wieder in der Politik diskutiert, z. B. diese:
- Überwachung von Messenger-Diensten wie Skype und Whatsapp:
Da die Datenübertragung von solchen Diensten heute meist verschlüsselt erfolgt, müssen die Daten bei der Eingabe am Gerät vor der Verschlüsselung (Smartphone, Tablet, PC) abgegriffen werden. Das geschieht durch die unbemerkte Remote-Installation eines geeigneten Programms (“Bundestrojaner”) am Gerät. Voraussetzung: Straftaten mit einer Strafobergrenze von mehr als zehn Jahren, Verdacht auf terroristische Straftaten, Straftaten gegen Leib und Leben, Straftaten gegen sie sexuelle Integrität mit Strafobergrenzen von mehr als fünf Jahren. - Ausweitung der Video- und Tonüberwachung:
Öffentliche und private Einrichtungen, die einen öffentlichen Versorgungsauftrag erfüllen (Verkehrsbetreibe, Flughäfen, Bahnhöfe), müssen Video- und Tonaufnahmen vier Wochen speichern. Behörden dürfen auf diese Daten zugreifen. Damit gibt es eine zentrale, staatliche Kontrolle aller öffentlichen Plätze.
Ebenso sollen Kennzeichenerkennungssysteme ausgebaut werden (Erfassung des Kennzeichens, der Automarke, des Typs, der Farbe). Privates Bild- und Videomaterial darf auch verwendet werden. - Ortung von Handys, Verbot von anonymen Prepaid-Karten:
Mit IMSI-Catchern dürfen Handys ohne Mithilfe des Netzbetreibers lokalisiert werden. Gesprächsinhalte sollen nicht abgehört werden, was aber Kritiker des Pakets doch befürchten. Ab 2019 sind anonyme SIM-Karten verboten. Käufer müssen ihre Identität registrieren. - Lockerung des Briefgeheimnisses:
Briefe dürfen schon beschlagnahmt werden, wenn eine Straftat auch nur mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist.